GESCHICHTE IM ÖFFENTLICHEN RAUM
EIN PROJEKT DER STADT BAD TÖLZ
Der Tölzer Stadtrat hat am auf Vorschlag des Ersten Bürgermeisters Josef Janker entschieden, dem ehemaligen Reichspräsidenten und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg rückwirkend die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen und die nach ihm benannte „Hindenburgstraße” nicht umzubenennen, sondern als „begehbares Mahnmal / Denkmal” zu gestalten.
Bei der Frage, ob die Hindenburgstraße umbenannt werden soll, gab es durchaus Argumente für eine Umbenennung, weil eine Straßenbenennung immer auch für eine Ehrung der nach ihr benannten Persönlichkeit steht. Hier setzte sich aber der Vorschlag des Bürgermeisters durch.
Das Argument des Bürgermeisters, eine Umbenennung würde in nur wenigen Jahren die Geschichte vergessen lassen und das Ziel „wider das Vergessen” konterkarieren, fand einmütige Zustimmung. Einstimmig folgte der Stadtrat darüber hinaus dem Vorschlag, die Gestaltung eines solchen Mahnmals einer Projektgruppe aus Experten für Text und Geschichte als Aufgabe zu stellen.
Die Projektgruppe mit namhaften Persönlichkeiten erarbeitete nach der Klärung der grundsätzlichen Herangehensweise Texte für eine Tafel und neun Stelen und stellte das dazu passende Bildmaterial zusammen. Weil die Hindenburgstraße nie Täter- bzw. Opferort gewesen war, was ein Denkmal rechtfertigen würde, wählte man den Begriff „Informationsweg Hindenburgstraße”.
Der Tölzer Stadtrat stimmte abschließend den Textentwürfen zu und entschied sich für den Gestaltungsvorschlag von Julia Stelz des Tölzer Büros » SIJU DESIGN. Die Projektgruppe hatte aus insgesamt sechs Gestaltungsentwürfen zwei zur Auswahl empfohlen.
Wer dem „Informationsweg Hindenburgstraße” virtuell oder auch in der Realität im öffentlichen Raum folgt, dem wird am Ende nicht nur die Motivation für diesen Informationsweg klar, sondern auch die verhängnis- und keinesfalls verdienstvolle Rolle Hindenburgs als Wegbereiter des NS-Unrechtsstaates bewusst werden.
Die Hindenburgstraße wurde 1925 dem Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs und deutschen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847-1934) gewidmet. Dieser besuchte einige Male Bad Tölz. Die Stadt ernannte ihn 1926 zum Ehrenbürger.
Damals wurde er von vielen Deutschen als Kriegsheld verehrt. Aber Hindenburg hatte während des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik eine derart verhängnisvolle Rolle gespielt, dass eine nach ihm benannte Straße heute nicht mehr als Ehrung seines Andenkens zu verstehen ist.
Um die Spuren der Vergangenheit nicht einfach zu tilgen, sondern in kritischer Erinnerung zu behalten, hat der Tölzer Stadtrat 2014 beschlossen, auf eine Änderung des Straßennamens zu verzichten und stattdessen den Informationsweg Hindenburgstraße einzurichten. Dieser erstreckt sich entlang der Hindenburgstraße über neun Stationen, deren Texte zum Nachdenken über Paul von Hindenburg und die deutsche Geschichte einladen.
Die ursprüngliche Marktstraße wies eine geschlossene Häuserfront von der Jägergasse bis zum Khannturm auf.
An der Stelle, wo die heutige Hindenburgstraße in die Marktstraße mündet, stand der Hacklbräu, der seit 1495 urkundlich nachweisbar ist. 1874 verkaufte die letzte Besitzerin das Gebäude an die Marktgemeinde Tölz.
Im selben Jahr wurde Tölz an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Der Bahnhof entstand im Norden des Marktes am heutigen Alten Bahnhofsplatz. Weil der Magistrat den Bahnhof mit der Marktstraße verbinden wollte, wurde das Hacklbräugebäude 1874 abgerissen. Entlang dieser neu entstandenen Bahnhofstraße siedelten sich Villen, Hotels, Amtsgebäude und Gewerbebetriebe an.
1924 wurde der Bahnhof wegen der Weiterführung der Strecke nach Lenggries an den östlichen Stadtrand verlegt. Es gab nun eine neue Bahnhofstraße und die bisherige erhielt vom Stadtrat 1925 den Namen Hindenburgstraße.
Dem pensionierten 66-jährigen General Paul von Hindenburg wurde im August 1914 die Führung der deutschen Armee an der Ostfront übertragen. Kurz danach schlug das deutsche Heer die russische Armee bei Tannenberg in Ostpreußen vernichtend. Hindenburgs Ansehen wuchs rasant. Zu verdanken waren diese Erfolge aber dem Generalstabschef Erich Ludendorff.
1916 übertrug Kaiser Wilhelm II. Paul von Hindenburg die Oberste Heeresleitung. Diese entwickelte sich unter ihm und Ludendorff rasch zum politischen Machtzentrum des Reichs.
Hindenburg war unter anderem verantwortlich für den unbeschränkten U-Boot-Krieg und die Ablehnung eines Verständigungsfriedens. Millionen weiterer Opfer und der militärische Zusammenbruch Deutschlands im Herbst 1918 waren die Folge.
Als prominentester Verfechter der Dolchstoßlegende − angeblich hätten die Demokraten, Juden und Linksradikalen in der Heimat einer siegreichen Armee den Dolch in den Rücken gestoßen − verdrehte er auf groteske Weise die Tatsachen und schadete damit nachhaltig dem Ansehen der jungen Demokratie.
Als Sieger von Tannenberg verstand es der bis dahin fast unbekannte Paul von Hindenburg geschickt, den Erfolg anderer für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Der spätere Reichswehrminister Wilhelm Groener beschrieb Hindenburgs Persönlichkeit treffend: Dieser sei "trotz Phlegma und Untätigkeit ruhmsüchtig". Für Niederlagen hingegen machte Hindenburg stets andere verantwortlich. Innerhalb kürzester Zeit avancierte er zum mit Abstand populärsten deutschen General.
Hindenburg erwies sich als großer Meister der medialen Selbstinszenierung. Im Krieg ließ er sich von Künstlern an der Front malen. Mit den später millionenfach gedruckten Porträts stilisierte er sich als nationales Idol. Für viele Deutsche, die sich nach einer Identifikationsfigur sehnten, trat er an die Stelle des schwachen Kaisers Wilhelm II. − eine Rolle, die er bis zum Lebensende nicht mehr ablegen sollte.
Von seinem Urlaubsort Dietramszell aus besuchte Paul von Hindenburg zwischen 1922 und 1930 fünf Mal offiziell die Stadt Bad Tölz. Honoratioren und Einwohner bereiteten ihm stets einen begeisterten Empfang.
Die Stadt hatte bereits während des Ersten Weltkriegs − wie viele andere Kommunen auch − eine Hindenburg-Gabe ins Leben gerufen, eine Spende für die Ostfront. Eine in der Bevölkerung tief verwurzelte Verehrung für den vermeintlichen Kriegshelden Hindenburg stand Pate, als im August 1925 die Tölzer Bahnhofstraße nach Hindenburg benannt wurde – für die "unauslöschlichen Verdienste des Generalfeldmarschalls im Weltkriege".
Die Stadt sonnte sich im Glanz des prominenten Besuchers und warb eifrig mit dem Mythos Hindenburg − etwa als sie im Sommer 1926 als erste bayerische Gemeinde Hindenburg zum Ehrenbürger ernannte.
1925 wurde Hindenburg als Kandidat der Konservativen und Rechten mit knapper Mehrheit zum Reichspräsidenten gewählt. Nun repräsentierte ein Mann die Republik, der die parlamentarische Demokratie grundsätzlich ablehnte. Er war zunehmend bestrebt, seine Macht im Stil einer charismatischen Herrschaft auszuweiten.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 traf Deutschland besonders hart, wovon vor allem die rechtsradikale NSDAP profitierte, während die demokratischen Parteien rapide an Vertrauen verloren. Diese "Krise des Parteienstaats" nutzte Reichspräsident Hindenburg, um bei der Regierungsbildung nicht mehr auf das Parlament Rücksicht nehmen zu müssen und damit einen Verfassungswandel einleiten zu können. Er berief von nun an nur noch Präsidialkabinette − Regierungen, die allein auf dem Vertrauen des Reichspräsidenten basieren − und betrieb damit die Aushebelung des demokratischen Systems. Bei den Reichspräsidentenwahlen 1932 wurde Hindenburg im Amt bestätigt. Diesmal unterstützte ihn auch die politische Mitte, um eine Wahl Adolf Hitlers zu verhindern. Aber die beiden Kontrahenten sollten sich bald politisch annähern.
Der NSDAP stand Reichspräsident Paul von Hindenburg zunächst distanziert gegenüber. Aber für die Verwirklichung seiner allmählich wachsenden Idee einer Volksgemeinschaft − in seinem nationalistischen Denken ein Deutschland ohne innere Auseinandersetzungen − erschien ihm Hitler zunehmend akzeptabel. Die Fäden wollte Hindenburg freilich selbst in der Hand behalten.
Im Januar 1933 ernannte er Hitler bewusst und in Ausübung seiner verfassungsmäßigen Befugnisse zum Reichskanzler. Dabei überschätzte er die eigenen Möglichkeiten und die seiner rechtskonservativen Anhänger erheblich, die Nationalsozialisten zu kontrollieren.
In seinem politischen Testament vom 11. Mai 1934 formulierte er: "Mein Kanzler Adolf Hitler und seine Bewegung haben zu dem großen Ziele, das deutsche Volk über alle Standes- und Klassenunterschiede zur inneren Einheit zusammenzufassen, einen entscheidenden Schritt von historischer Tragweite getan."
Am 5. März 1933 wurde der neue Reichstag gewählt. Von freien Wahlen konnte angesichts des Naziterrors nicht mehr die Rede sein. Zur Reichstagseröffnung am 21. März in Potsdam präsentierte sich die Stadt in einem Meer aus Hakenkreuzfahnen und den schwarz-weiß-roten Bannern des Kaiserreichs.
Den Nationalsozialisten gelang so ein überwältigender Propagandaerfolg. "Der Marschall und der Gefreite", Hindenburg und Hitler, sollten den Bund des alten und des neuen Deutschland inszenieren. Hindenburg trat in der Uniform eines Generalfeldmarschalls auf, während sich Hitler, im zivilen Frack, als bürgerlicher Kanzler präsentierte, der sich vor dem greisen Präsidenten verneigte.
Hindenburg war sich der Bedeutung des Tags von Potsdam bewusst und sagte, er selbst habe am 30. Januar 1933 "diesem jungen Deutschland die Führung des Reichs anvertraut". Der Mann, der die Republik schützen sollte, hatte sie ihren schlimmsten Feinden ausgeliefert.
Ab dem 30. Januar 1933 gelang es den Nationalsozialisten rasch, ihre Diktatur zu errichten. Am 28. Februar unterzeichnete Hindenburg nach dem Reichstagsbrand die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat. Sie setzte die Grundrechte außer Kraft und öffnete dem Terror der neuen Machthaber Tür und Tor.
Durch das Ermächtigungsgesetz, dem alle Parlamentsparteien außer der SPD zustimmten − die Kommunisten waren bereits ausgeschlossen −, entmachtete sich der Reichstag im März 1933 selbst. Ab Juli gab es nur noch eine politische Partei: die NSDAP. Auch die Gewerkschaften wurden zerschlagen. Zudem maßte Hitler sich an, "des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr" zu sein.
Hindenburg bekleidete bis zu seinem Tod am 2. August 1934 das Amt des Reichspräsidenten. Er hätte die Macht gehabt, Hitler beizeiten Einhalt zu gebieten. Stattdessen hob er Hitler mit der Reichskanzlerschaft in die Schaltstellen der Macht und trug als Staatsoberhaupt widerspruchslos die Errichtung der Diktatur mit.
Viele Kommunen in Deutschland benannten − ganz im Sinne der Nationalsozialisten − Straßen und Plätze in ganz Deutschland nach Hindenburg um. Im Isarwinkel wurden die Wackersberger Höhe zur Hindenburghöhe und der benachbarte Heigelkopf zum Hitlerberg. Nach dem Tod Hindenburgs 1934 nahm dessen Verherrlichung durch die NS-Propaganda kultische Formen an.
Auch wenn nach 1945 der Name Hindenburgs vielerorts aus dem öffentlichen Raum verschwand, kam es erneut zur Legendenbildung. Seine entscheidende Rolle bei Hitlers Machtübernahme wurde verharmlost.
In Bad Tölz kam erst im Jahr 2012 eine breite Debatte über die Bezeichnung Hindenburgstraße in Gang, die letztlich zu diesem Informationsweg führte.
Es bleibt nichts übrig, wodurch Paul von Hindenburg heute noch in positiver Weise identitätsstiftend wirken könnte. Aus diesem Grund hat der Stadtrat von Bad Tölz Paul von Hindenburg am 25. Juni 2013 die im Jahr 1926 verliehene Ehrenbürgerwürde postum aberkannt.
1. Bürgermeister der Stadt Bad Tölz Dr. Ingo Mehner
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Historische Galerie: Stadtarchiv Bad Tölz
Bildmaterial auf den Informationsstelen: dpa Picture-Alliance GmbH
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